Einige Kinder mit Trisomie 21 haben Hörprobleme. Taub sind die wenigsten. Lillemor war zu Beginn ihres Lebens relativ lauten Geräuschen ausgesetzt. Der Schallpegel in einer ruhigen Wohnung liegt bei 40dB. Lille lag im Inkubator, der Motor bringt 50-73 dB mit sich. Das Öffnen und Schließen verursacht 95 dB, wer eine Glasflasche auf den Deckel stellt, haut bis zu 115 dB raus. Ich habe auf der Neonatologie sehr viel für Lillemor gesungen. Am 17. April 2020 hatte sie eine weitergehende Untersuchung in der Pädaudiologie. Ab da war klar: alles war umsonst. Lille reagierte erst auf Geräusche jenseits der 80 dB. All das singen, kuscheln, flüstern. Sie kann das alles nicht gehört haben. Ab sofort sang ich ihr die Heavy Metal Versionen von Kinderliedern vor. Ich schrie sie also an. Das machte gar keinen Spaß. Sie wird nie das Geräusch der Blätter im Wind hören. Dieser Gedanke machte mich unsagbar traurig.
Warum war Lillemor schwerhörig?
Lillemor hatte eine sogenannte Schalleitungsstörung. Das ist die Form von Schwerhörigkeit, die am meisten bei Kindern mit Down Syndrom auftritt. Ich bin keine Medizinerin, aber erkläre es mal so. Der Schall konnte Lilles Gehörgänge nicht ungehindert passieren. Er wurde aufgehalten und abgedämpft. Wie es dazu kommen konnte? Die möglichen Ursachen habe ich erst Monate später so richtig verstanden. Lille hatte sehr enge krumme Gehörgänge. Sie hatte Wasserpolster hinter den Trommelfellen, auch Paukenerguss genannt. Das passiert häufig Kindern, die künstlich beatmet wurden, so wie Lille. Sie hatte nach der Geburt eine Woche lang einen Tubus. Ein weiterer Grund für die Ergüsse ist das fehlende Schlucken. Schlucken belüftet die Ohren, aber Lillemor wurde sechs Monate lang über die Nasensonde ernährt. Sie hat allenfalls ein wenig Speichel geschluckt. Und dann gibt es da ein bestimmtes Medikament, dass manche Kinder auf der Intensiv erhalten, welches auch in Zusammenhang mit Hörproblemen gebracht werden kann. Danach hatte die Ärztin in der Pädaudiologie gezielt in Lillemors Arztbriefen gesucht. Ich kenne den Namen nicht, suche den aber gerne raus, falls es für einzelne von euch von Interesse ist. Lille hatte also die besten Voraussetzungen für eine Schwerhörigkeit.
Hörgeräte für ein Baby mit Trisomie 21
Lillemor wurde im Alter von sechs Monaten mit Hörgeräten versorgt. Wir hatten einen tollen Hörgeräteakustiker empfohlen bekommen, der sich speziell mit Kindern auskennt. Das können leider nicht mehr viele. Und warum? Weil es sich nicht lohnt. Kinder benötigen aufgrund ihres Wachstums immer mal wieder neue Ohrpassstücke, vor den regelmäßigen Untersuchungen in der Pädaudiologie müssen die Geräte überprüft werden. Dennoch ist die Pauschale der Kassen für Kinder nicht höher. Macht keinen Sinn, ist aber so. Zunächst hat Lille die Geräte gut akzeptiert. Sie waren ihr fast schon egal. Ca. vier Wochen lang, dann hat sie sich regelmäßig aus den Ohren gezogen. Wir haben ein sehr schickes Haarband aus den USA besorgt, damit hielten sie ganz gut. Den heißen Tipp mit dem Toupetklebeband haben wir nicht ausprobiert. 🙂 Die Kassen bezahlen auch ein spezielles Stirnband, das leider recht auffällig, aber wirksam ist. Lillemor hat die Geräte getragen, während sie wach war. Beim Mittagsschlaf haben wir sie ihr abgenommen. Und zwar nachdem sie ein Ohrpasstück aufgegessen hatte. Ihr könnt euch die Erleichterung vorstellen, als das Stück erst zwei Tage später in der Windel lag. Also, immer gut aufpassen. Die meisten Kinder spucken sie allerdings aus. Hörgeräte benötigen Batterien, die regelmäßig ausgetauscht werden müssen. Immer einen festen Tag nehmen. So kleine Kinder melden sich nicht unbedingt, wenn die Batterie piept. Für die Pflege hatten wir ein Ultraschallreinigungsgerät, denn die Hörgeräte dürfen nicht feucht werden. Das schadet der Elektronik. Ganz ehrlich, ich war am Anfang komplett überfordert und angepisst. Schon wieder ein neues Hilfsmittel, nach Nasensonde, Abpumpen, Medikamenten fürs Herz und dem ganzen Kram, war ich nicht bereit, mich in den nächsten Themenbereich einzuarbeiten. Aber: Du bist schneller drin, als du denkst. All das ist eine super Vorbereitung für das eigene Alter oder die Betreuung älterer Verwandter. Was andere erst mit 50 oder 60 Jahren lernen, wenn eben die eigenen Eltern alt werden, das habt ihr RuckZuck drauf. 🙂 (Humor, so wichtig.) Lillemors Hörgeräte sollten ihr helfen die Schallbarrieren zu überwinden. Außerdem dehnen die Ohrpasstücke die engen Gehörgänge etwas, eine gut Voraussetzung für das spätere Einsetzen von Paukenröhrchen. Die erhalten Kinder, die häufig Paukenergüsse haben. Sie sind eine Art Ablaufventil, helfen Druckschmerzen zu verhindern, haben aber auch Nachteile. Lille hat bisher keine benötigt. Somit erschöpft sich mein Wissen dazu an dieser Stelle.
Hörfrühförderung für Kinder mit Schwerhörigkeit
Alle Infos picken wir pflegenden Eltern Körnchen für Körnchen am Wegesrand auf. So erfuhr ich einige Zeit nachdem Lille ihre Hörgeräte erhalten hatte, dass unsere Kinder auch Anspruch auf eine Hörfrühförderung haben. Wir konnten sie wegen Corona kaum in Anspruch nehmen, aber es ist ein tolles Angebot für verwirrte Eltern, die hören können und lernen wollen, wie sie ihre schwerhörigen Kinder fördern können. Singen, viel sprechen, vorlesen sind selbstverständlich immer empfehlenswert. Experten für die Hörfrühförderung können euch auch zu Gebärden und Symbolsprachen beraten, Unterstützte Kommunikation ist das Stichwort. Gebärden sind für alle Kinder hilfreich. Auch für die mit Normal Syndrom. Die mit Down Syndrom profitieren besonders, weil sie visuell gut lernen können. Als Lille 5 Monate alt war, habe ich mit einigen wenigen Gebärden angefangen. Die meisten Kindermusikinstrumente, Klapperdinger etc. habe ich in der Hörgerätezeit angeschafft.
Schalleitungsstörung bei Kindern mit Down Syndrom nicht immer dauerhaft
Aufgrund enger Gehörgänge sowie Atemwege neigen viele Kinder mit Trisomie 21 zu häufigeren Infekten. Die wiederum führen zu häufigeren Paukenergüssen. Die gute Nachricht ist: Kinder mit Down Syndrom wachsen und damit können sich auch Gehörgänge weiten. Lillemor wurde die Nasensonde los, begann zu trinken und somit zu schlucken, sie wuchs und plötzlich wurden die Besuche in der Pädaudiologie immer erfreulicher. Sie hörte immer mehr, sie wurde älter und konnte besser Reaktionen auf Geräusche zeigen. Bis hin zu dem Moment, in dem sie mit Hörgeräten Geräusche ab 35 dB hören konnte – das ist „normales“ Hören. Ein Feiertag, denn ohne Geräte konnte sie plötzlich ab 40 dB Reaktionen zeigen. WOW! Nachdem sich dieses Ergebnis einige Monate später bestätigte, wurden die Ärzte und wir mutig: „Wir dürfen uns trauen, die Hörgeräte wegzulassen.“ Bisher ein Happy End. Wir beobachten Lillemor bei Infekten, lassen ihre Ohren anschauen. Bisher neigt sie nicht zu häufigen Paukenergüssen. Die Hörgeräte liegen im Schrank. Ohne Batterien! Achtung, die laufen sonst irgendwann aus bzw. korrodieren. Wir stellen Lillemor alle sechs Monate in der Pädsudiologie vor.
Eine BERA (Hirnstammaudiometrie) wurde bei Lillemor nie gemacht. Bei Zustand nach Herz-OP wollten ihr die Ärzte die dafür notwendige Narkose nicht zumuten. Sie sollte sich erholen können und war über die Hörgeräte gut versorgt. Das war wichtig, weil das gute und deutliche Hören eine ganz wichtige Voraussetzung für das Sprechen ist. Die BERA misst ob Audioinformationen im Hirn ankommen und verarbeitet werden. Bei Lille zeigte sich über die Zeit, auch ohne diese Untersuchung, dass dies der Fall sein muss.
Fazit: Hörtest bei Kinder mit Down Syndrom
Wenn du gerade ein Baby mit Down Syndrom bekommen hast, wird relativ zügig nach der Geburt, wie bei allen Kindern, ein Hörtest gemacht. Diese Tests sind sehr schwierig, die kleinste Störung bringt entweder kein oder ein falsches Ergebnis. Falls ein auffälliger Befund vorliegt, kann das immer noch alles und nichts heißen. Erst eine BERA könnte tatsächlich Aufschluss über die Hörleistung geben. Bis dahin sind meiner Erfahrung nach alle Ärzte daran interessiert, so sanft und minimalinvasiv vorzugehen wir möglich. Denn Babys entwickeln sich, Lillemor hat oft wenig Hörreaktion gezeigt, weil sie ohnehin nicht so stark auf Reize reagiert hat. Falls dein Kind eine Schwerhörigkeit hat, lässt sich „viel machen“. Das ist im ersten Moment traurig, du willst es nicht, du willst, dass mal nix ist. Und dann wirst du wieder cooler als Eiswürfel, liest dich ein und wirst Vollprofi in allem. Lebensqualität haben alle, die Hörenden, die schwer Hörenden und nicht Hörenden. Alles wird gut.



Das Super Stirnband aus den USA saß nicht immer gut 🙂
