Das persönliche Budget für Kinder mit Behinderung Teil 2

Geschafft. Ich sitze tatsächlich im Seminar zum persönlichen Budget. Mein Mann hat sich Überstunden genommen, er passt auf die Kids auf. Im ersten Blogpost dazu hatte ich theoretisch erklärt, was das persönliche Budget ist. Das Wichtigste vorab: Ich kann euch immer noch keine konkrete Liste von Anwendungsfällen für das persönliche Budget bei Kindern mit Down Syndrom oder anderer Behinderung geben. Den Wind nimmt uns die Referentin Christiane Riescher direkt zu Beginn des Seminars aus den ohnehin schon schlaffen Segeln. Hier sitzen interessierte pflegende Mütter und Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen oder Lebensstellen von Menschen mit Behinderung. Wir haben alle vom persönlichen Budget gehört, wissen es aber nicht einzusetzen. Wir sind alle erschöpft angesichts des „Bürokratiewahnsinns“ und sehen, trotz der fehlenden Liste, am Ende des Workshops die Sonne aufgehen. 🙂 Die Referentin benutzt einen Rollstuhl und ist heute mit ihrer eigenen Arbeitsassistenz da. Diese unterstützt sie bei Veranstaltung. Die Vertreterin des Kompetenzzentrums Selbstbestimmt Leben (KSL) benötigt die Assistenz immer dann, wenn sie Vorträge hält, denn sie muss zum Beispiel kistenweise Broschüren, ihren Laptop usw. mitbringen.

Teilhabeziele sind die Grundlage für das persönliche Budget

Was brauche ich, um am Leben in der Gemeinschaft teilhaben zu können? Bei der Beantragung des persönlichen Budgets für Kinder mit Behinderung geht es immer, um die Ermöglichung von Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, die selbst bestimmte Freizeitgestaltung und NICHT um die Entlastung von pflegenden Eltern. Ihr überlegt mit eurem Kind, soweit möglich, was euer Kind benötigt, um ein weitestgehend selbst bestimmtes Leben zu führen. Bei Lillemor könnte zum Beispiel der Wunsch aufkommen, alleine auf den Spielplatz zu gehen, einen Sportkurs zu besuchen und dort mit dem Bus hinzufahren o.ä. Dabei könnte sie bezahlt über das persönliche Budget von einer Assistenzkraft begleitet werden. Mögliche Ziele sind dann: Teilhabe an einem Sportkurs ihrer persönlichen Wahl, Förderung der Selbstständigkeit durch Fahrt mit ÖPNV und Abnabelung vom Elternhaus. Drei schöne Ziele, die für Lillemor wichtig sind, und die wir als Eltern so nicht ermöglichen können. Abnabeln und selbstständig werden, ist in Anwesenheit der Eltern eher schwierig. Eine Mutter aus der Runde erzählt, dass sie über das persönliche Budget im Arbeitgebermodell drei Werkstudenten angestellt hat, die die Freizeit ihrer Tochter mit Rett Syndrom gestalten. Ihre Tochter spricht nicht, aber die Mutter konnte aus dem Verhalten viele Ziele für die Freizeitgestaltung ableiten. Musik, mag ihre Tochter sehr, und so begleiten die Assistenzkräfte die junge Frau regelmäßig zu Musikveranstaltungen. Ein gehörloser Mensch zum Beispiel kann zum Besuch von öffentlichen Veranstaltungen einen Gebärdendolmetscher als Assistenz beantragen. Was wenn ein Ziel erreicht wurde? Die Ziele sollen euch nicht stressen, ihr müsst nicht immer Neues anstreben. Erhaltungsziele sind ebenso in Ordnung. Die Referentin sagte dazu: „Wenn ich nach der Assistenzleistung immer noch nicht mit Geld um gehen kann, dann ist das so.“ Dann würde der Antrag auf Hilfe in diesem Bereich fortlaufend gestellt.

Hilfsmittel über das persönliche Budget beantragen

Bei den Hilfsmitteln sind Pflegebedürftige immer auf die Versorger der Krankenkassen angewiesen und können nicht selbst wählen. Stimmt nicht! Auch Hilfsmittel können im Rahmen des persönlichen Budgets beantragt werden. Wenn Menschen mit Behinderung zum Beispiel ihr Sanitätshaus selbst auswählen wollen. Denn die Kassen haben häufig für verschiedene Produktgruppen, verschiedene Ansprechpartner und so ließe sich das hin und her zwischen verschiedenen Dienstleistern vermeiden.

Welche Hilfsmittel lassen sich im Rahmen des persönlichen Budgets beantragen?

Krankenkasse: Hilfsmittel, die sich auf alltägliche und regelmäßig wiederkehrende Bedarfe
beziehen (z. B. zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel, wie Inkontinenzhilfen (!!!) oder StomaArtikel; im Einzelfall auch Prothesen, Stützapparate, Hörgeräte, und Rollstühle, wenn diese in zeitlich regelmäßigen Intervallen ausgetauscht werden müssen; Betriebskosten, wie z. B. Strom für einen Elektrorollstuhl; der Aufwendungsersatz für einen Blindenführhund. (Quelle: https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/2009-12_pb_hilfebedarf_web.pdf)

Pflegekasse: zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel (§ 40 Absatz 2 SGB XI). Im Seminar gab es dann noch den Hinweis, dass die Pflegekasse, im Rahmen des persönlichen Budgets nur Gutscheine ausgibt und nicht den Betrag zur Verfügung stellt.

Hilfsmittel ohne Hilfsmittelnummer abseits des Katalogs

Jetzt eins der Highlights: Hilfsmittel, die als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens weder in den Leistungskatalog der Krankenversicherung noch in den der Pflegeversicherung fallen, jedoch im Einzelfall für den Menschen mit Behinderungen notwendig sind, um am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen zu
können, können ebenfalls übernommen werden. Dazu gehört z. B. eine Auffahrrampe für einen Rollstuhl. (Quelle: https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/2009-12_pb_hilfebedarf_web.pdf) Das ist doch mega, oder!? Hier der Tipp unserer Referentin: Gleich die Wartungskosten für die Hilfsmittel mit beantragen. Ihr seid dann, anders als bei dem Weg über Dienstleister, Eigentümer der Hilfsmittel und müsst euch selbst um jede verlorene Schraube kümmern.

Hilfe, außerhalb des Behindertensystems

Das persönliche Budget gibt euch die Freiheit Hilfe, außerhalb des üblichen Systems zu finden. Da es kaum Kurzzeitpflegeplätze für Kinder und junge Erwachsene gibt, könntet ihr euch mit dem persönlichen Budget ein eigenes Hilfesystem aufbauen. Wenn eure logopädische Praxis keine Gebärden kann, könnt ihr euch Experten dafür suchen usw.

Klingt alles super, aber wo ist der Haken am persönlichen Budget?

Leider wissen Träger und Berechtigte zu wenig über das persönliche Budget. Die Träger haben kaum Erfahrung damit, weil nur wenige Anträge eingehen. Die Berechtigten stellen wenige Anträge, weil sie nicht ausreichend Wissen haben, sich überfordert fühlen.

Mehrkostenvorbehalt – Die Leistungen, die ihr euch über das persönliche Budget zusammenstellt, sollten nicht mehr als die Sachleistung kosten, die die Träger übernehmen würden. Zusätzlich müsst ihr immer gut begründen, die Ziele müssen nachvollziehbar sein.

Ihr könnt die benötigten Leistungen eigenverantwortlichen einkaufen. Damit offenbart sich auch ein Problem, denn diese tolle soziale Leistung untergräbt die Interessen der üblichen Träger der Behindertenhilfe. Wer wohnt noch im „Heim“, wenn ich mir das selbst bestimmte Wohnen mit dem persönlichen Budget in den eigenen vier Wänden ermöglichen kann? Wer arbeitet in der Werkstatt, wenn ich mit einer Arbeitsassistenz auf den ersten Arbeitsmarkt komme? Deshalb müssen möglichst viele gut formulierte und begründete Anträge her. Das persönliche Budget ist eine fantastische Möglichkeit selbst bestimmt zu leben. Wir müssen für Erfahrungswerte sorgen. Einfach mal machen.

Falls ihr euch nicht sicher seid, wo ihr den Antrag für eure benötigte Hilfe stellen könnt, wählt eine Stelle aus, die eurer Meinung nach zuständig sein könnte. Ist dieser Träger, zum Beispiel die Krankenkasse, nicht zuständig, leitet sie den Antrag weiter, an die Stelle von der sie glaubt, sie wäre die Richtige. Diese Stelle muss dann das Verfahren leiten. Sie ist euer Ansprechpartner. Es gibt kein endloses Weiterverteilen und Verzögern.

Teilhabeziele für Kinder und Jugendliche

Die Referentin hat angeboten ein weiteres Seminar zu den möglichen Teilhabezielen zu halten. Somit erhalten wir zwar keine Liste möglicher Leistungen, sondern können uns damit beschäftigen, welche persönlichen Ziele wir für unsere Kinder wählen könnten. Abnabelung vom Elternhaus zum Beispiel ist ein solches Ziel.

Die Ziele können in zwei Verfahren ermittelt werden:

BEI_NRW (für Nordrheinwestfalen) dieses Bedarfsermittlungsinstruments und das ICF-Verfahren. (ICF ist eine internationale Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation) ermöglichen eine individuelle Bedarfsplanung und berücksichtigen neun Lebensbereiche.

Im Gesetz sind 9 Lebensbereiche aufgeführt, die berücksichtigt werden können: (1) Lernen und Wissensanwendung (2) allgemeine Aufgaben und Anforderungen (3) Kommunikation (4) Mobilität (5) Selbstversorgung (6) häusliches Leben (7) interpersonelle Interaktionen und Beziehungen (8) bedeutende Lebensbereiche (9) Gemeinschafts- , soziales und staatsbürgerliches Leben.

Wer hilft bei der Beantragung des persönlichen Budgets?

EUTB Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung https://www.teilhabeberatung.de/

KSL Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben https://www.ksl-nrw.de/de/persoenliches-budget

Broschüre

https://www.ksl-nrw.de/de/service/1339/ksl-konkret-1-das-persoenliche-budget

Broschüre in leichter Sprache

https://www.ksl-nrw.de/de/service/2347/ksl-konkret-1-das-persoenliche-budget-leichter-sprache

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