Eine Streikgeschichte -Wenn alle pflegenden Eltern nicht mehr mitmachen

„Was machen Sie in meinem Büro?“ „Streiken.“ „Streiken?“ „Japp.“ „Und das Kind?“ „Das streikt nicht.“ „Aha, nun. Ich muss Sie bitten mein Büro sofort zu verlassen. Sonst rufe ich den Sicherheitsdienst.“ „Kein Ding, bin schon weg. Tschüss mit Üss.“ „Aber das Kind!!“ „Ach so, ja. Tschüss Kind.“ „Stehen bleiben!“ „Ja, soll ich nun gehen oder bleiben? Müssen Sie sich schon entscheiden, Herr Schneider!“ „Woher kennen Sie meinen Namen?“ „Ablehnung.“ „Ablehnung?“ „Genau. Therapiestuhl, Therapiedreirad, Familienkur, Gymnastikmatte. Schneider macht Schnipp Schnapp, und lehnt alles ab.“ „Ähm, das  … daran .. erinnere ich mich jetzt gar nicht. Mein Team hat so viele Sachverhalte auf dem Tisch.“ „Das sind Menschen.“ „Wie meinen?“ „Auf ihren Tischen, das sind echte Menschen, keine Sachverhalte. Schauen sie nur hin, da futtert gerade ein kleiner Mensch ihre Sachverhalte auf.“

„Das Kind!! Es könnte herunterstürzen oder ersticken!“ „Nein, Sie haben Eigengefährdung und Weglauftendenz ausgeschlossen. Im Pflegegutachten. Schon vergessen? Alle Kinder spielen doch gerne fangen! Zum Beispiel mit Sachverhalten auf ihrem Schreibtisch.“ „Los runter da. Aber … Es versteht mich ja gar nicht.“ „Doch! Sie müssen nur Gebärden nutzen. M5.10 im Gutachten von 2019 ‚Kommuniziert über Gebärden, Verständigung altersentsprechend möglich. Keine Unterstützung/Kitabegleitung notwendig.‘ Blöd nur, wenn niemand sonst diese Sprache spricht, wa!?“

„Holen Sie das Kind sofort von meinem Schreibtisch runter!!“ „Geht nicht.“ „Warum?“ „Blockade.“ „Hören Sie auf mit Ihrem bescheuerten Streik!“ „Nee. Kreuz-Darmbein. Tut höllisch weh. Kann nix heben.“ „Dann machen Sie halt ne’ Kur.“ „Hab ich gemacht, für pflegende Angehörige. Hab es bis heute nicht geschafft, das 18 kg Kind in den Autositz hinein zu atmen. Dabei war ich so positiv eingestellt.“ „Sollte das Kind jetzt nicht in der Schule sein?“ „Schulbegleitung krank.“ „Aber es gibt doch die Schulpflicht!!“ „Schneider, Sie haben ja Humor. Hätt ich nicht gedacht!„

„Ich rufe jetzt den Sicherheitsdienst!“ „Mit Ihrem Telefon?“ „Mit was denn sonst?“ „Geht denn da auch einer ran?“ „Ja, sicher.“ „Komisch, wenn wir Hilfe benötigen, geht keiner dran. Dann dudelt die Warteschleife ihre Todesmelodie.“ Schneider setzt sich auf Boden. „Was machen Sie da?“ „Ich streike jetzt auch.“ „Der Boden der Tatsachen. Echt hart.“ „Ja, ich glaube schon.“ „Mama.“ Das Kind zeigt ein gefaltetes Stück Papier. „Oh, ist das ein Herz?“ „Da.“ Kind zeigt auf Mann, gebärdet „weinen, traurig“. „Der ist traurig ja. Aber der fängt sich wieder. Komm. Streik beendet. Herr Schneider?“ „Ja?“ „Kopf hoch, an den Schreibtisch setzen und ‚Ja‘ sagen. Ist gar nicht so schwierig.“

Der Hintergrund ist alles andere als lustig

Stellt euch vor, es ist Pflege und wir gehen nicht hin. Legt die Sonden weg, schmeißt Spritzen & Lappen in den Müll! Wir streiken. Das Kind hat angeblich keinen besonderen Hilfebedarf? Ist ja noch so klein und wir machen es schließlich gerne und ehrenamtlich? Der Pflegedienst sagt die dritte Nacht in Folge ab, weil es einfach nicht geht? Am Arsch hängt der Hammer, bei uns geht es auch nicht! Sollen doch andere assistieren, pflegen, sich in ihrer Freizeit zu Laien-Therapeuten ausbilden lassen und nebenbei noch einen Ehren-Bätscheler in Sozialrecht machen. Wenn alle pflegenden Angehörige von heute auf morgen ihre Arbeit einstellen würden. Ja, dann würden sie dumm gucken, die, die.. Ja wer eigentlich?

Die Politiker und all diejenigen, die von Inklusion und Unterstützung sprechen und damit exklusive Sonderlösungen und Lob für Eigeninitiative meinen. Ja, die. Und ich wage zu behaupten, wenn alle, die zu Hause gepflegt werden, plötzlich in eine Einrichtung müssten, dann gäbe es zackig Pflegegrad 10 mit Extrabudget. Denn wer soll denn so viel Betreuung und Hilfe leisten? Wie es wohl wäre, wenn wir alle unsere Kinder in die Zentralen der Pflege- und Krankenkassen oder in den Landtag schieben würden? Einfach mal vorbeibringen, auf den Schreibtisch setzen, in die Kaffee Küche bringen, den Kopierraum verwüsten lassen. Trifft es da die Richtigen? Wahrscheinlich nicht. Denn Unterstützung für pflegende Angehörige ist eine gesamtesellschaftliche Entscheidung.

Wir müssen das alle wollen. Wenn wir uns alle einig sind, dass Carearbeit wertvoll ist, dann ist sie das. Wenn wir uns alle einig sind, dass es ein wertvoller gesellschaftlicher Beitrag ist, ein Kind mit Behinderung zu pflegen, zu fördern und fit für das Leben zu machen, dann ist das so. Wenn wir alle so denken, nehmen wir keine Entscheidung hin, die diese Ziele nicht unterstützt. Aber viel zu oft müssen wir uns vorwerfen lassen, dass wir uns Gelder erschleichen wollen, uns auf dem üppigen Pflegegeld ausruhen 🤪 Unser größtes Problem: wir würden niemals streiken. wir gehen auf dem Zahnfleisch, um unseren Kindern die bestmögliche Versorgung zu ermöglichen. Wer hat da überhaupt noch Zeit ein Protest-Plakat zu malen?

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