Anhörung in Genf: Deutschland muss sich zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention erklären

Deutschland hat’s verkackt – Inklusionsfaktor mangelhaft, setzen sechs. Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung hat in Genf zwei Tage lang eine Anhörung durchgeführt. Thema: Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, welche Deutschland bereits im Jahr 2007 ratifiziert, also unterzeichnet und somit anerkannt hat. Im Jahr 2009 trat sie dann in Kraft. Deutschland hat also vor 14 Jahren (!)versprochen die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Menschen mit Behinderung haben das Recht auf Inklusion, zum Beispiel in das Bildungssystem. Bedeutet: Jedes Kind muss eine Regelschule besuchen dürfen! Worauf basiert die Prüfung? Der geprüfte Staat reicht einen Bericht ein. Dazu kommen eingereichte Dokumente von Nationalen Menschenrechtsinstitutionen, unabhängigen Überwachungsmechanismen sowie Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen. So hat zum Beispiel das Institut für Menschenrechte einen Parallelbericht eingereicht.

Deutschland fördert Sonderwelten

„Hier ist jetzt klar geworden, dass Bund und Länder nicht genug tun, um Sonderwelten im Bereich der Schule, beim Wohnen und Arbeiten abzubauen“, sagte die Leiterin der Monitoring-Stelle der UN-Behindertenrechtskonvention beim Deutschen Institut für Menschenrechte, Britta Schlegel.“ „Es ist auch deutlich geworden, dass ein verfehltes Inklusionsverständnis besteht, wenn man meint, dass die gesonderten Strukturen mit der Konvention vereinbar sind oder aufrecht erhalten werden können“, so Schlegel. (Quelle: Ärzteblatt)

Ein Vertreter der Kultusministerkonferenz hatte im Vorfeld gesagt, dass das Förderschulministerium im Einklang mit der Konvention stehen würde. Das sieht der Fachausschuss anders. Jetzt kommt ein Zitat, dass mir die Socken auszieht und für das ich andererseits Füße küssen möchte. Haltet euch fest:

Ableismus ist wie Rassismus nur gleich mies

„Ausschussmitglied Markus Schefer, ein Schweizer Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, verglich die separaten Strukturen mit der einstigen Segregation von Schwarzen und Weißen in den USA. Sonderschulen, Werkstätten und Heime für Menschen mit Behinderungen seien in deutschen Gesetzen fest verankert, sagte er.“ (Quelle: Ärzteblatt)

Danke, danke, danke, für diesen krassen und so deutlichen Vergleich. Genauso ist es. Rassismus und Ableismus folgen demselben Muster. Menschen mit Behinderung werden in Deutschland aufgrund ihrer Behinderung diskriminiert. Sie werden separiert. Das ist unmenschlich und in keinster Weise im Sinn der UN-Behindertenrechtskonvention! Nur ob die Separation in den USA tatsächlich „einstig“ oder nicht doch „gegenwärtig“ ist, sollte diskutiert werden.

Die Ausrede für die Separation von Menschen mit Behinderung sei immer gleich: Diese Systeme dienen den besonderen Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung. Noch einmal zum Mitschreiben. Menschen mit Behinderung möchten: lernen können, Freundschaften schließen, am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, selbstbestimmt leben, wohnen und arbeiten. Das ist nichts Besonderes! Die Hürden und Grenzen sind in den Köpfen der Anderen. Und die deutschen Gesetze und Systeme der „Behindertenhilfe“ fördern diese, anstatt sie abzubauen.

Nun ein weiterer Hammer. Wir sind mal wieder die Besten. Von hinten. Denn in keinem anderen Land (!) werden Menschen mit Behinderung in „Sondereinrichtungen wie Förderschulen, Werkstätten für behinderte Menschen und stationäre Wohneinrich¬tungen „abgeschoben und in ihren Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt werden“. (Quelle: Ärzteblatt). Die Teilnahmemöglichkeiten würden „eher bekämpft als gefördert“.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales lebt in einem anderen besseren Universum

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat übrigens eine etwas andere Wahrnehmung. Auf der Website heißt es unter dem Titel „Deutschland ist auf einem guten Weg“: „In der Anhörung ist deutlich geworden, dass Deutschland seit der letzten Staatenprüfung 2015 viel auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft erreicht hat.“ Zu den gut umgesetzten Themen würden „Menschenrechte und Diversität“ gehören. Kritische Fragen soll es zu den Themenbereichen „Bewusstseinsbildung, Disability Mainstreaming, Barrierefreiheit im privaten Sektor, rechtliche Betreuung, Zwangsmaßnahmen und Freiheitsentziehung, Gewaltschutz, den Umgang mit geflüchteten Menschen mit Behinderungen, Deinstitutionalisierung, inklusive Bildung und die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben.“ Gegeben haben. Bemerkt ihr die Ausgewogenheit zwischen den positiven wie kritischen Punkte? Das ist ja fast … gar nix geschafft.

Mitte September wird der UN-Fachausschuss seine Empfehlungen zur weiteren Umsetzung der Behindertenrechtskonvention geben. Oder zur UN-Kinderrechtskomission. Denn so steht es in der Pressemitteilung. Offenbar eine Verwechslung der Worte. Ist ja auch alles so ähnlich. Behinderte sind ja so niedlich und unschuldig wie Kinder. Da kannste dich ja mal vertun. Mit die Worte. AAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHH!!! Ich wollte diese Pressemitteilung des BMAS übrigens in leichter Sprache lesen, also habe ich oben auf den Button „Leichte Sprache“ geklickt. Dann kam leider nicht, wie erwartet, eine Version der Pressemitteilung in leichter Sprache, sondern eine Seite, die mir erklärt, was leichte Sprache ist und warum die gut ist. Die Mitteilung finde ich auch nach längerem Suchen nicht.

Bereits 2015 gab es massive Kritik vom UN-Fachausschuss

In den Empfehlungen aus der ersten Anhörung im Jahr 2015 finden sich zahlreiche Kritikpunkte an der Umsetzung der Konvention seitens der Bundesrepublik. Schwerpunkte der Empfehlungen formulierte der Fachausschuss als folgende Forderungen:

  • Die Inklusion betreffend, fordert der Ausschuss, Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung in der Gemeinde zu erleichtern (Ziffer 42 b)) statt weiter an Doppelstrukturen in Bildung, Wohnen und Arbeit festzuhalten.
  • Insbesondere sei das segregierende Schulwesen zurückzubauen (Ziffer 46 b) und die Behindertenwerkstätten zugunsten einer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt schrittweise abzuschaffen (Ziffer 50 b)).
  • Besondere Aufmerksamkeit widmet der CRPD-Ausschuss dem Rechtsschutz der persönlichen Integrität. Einen stärkeren Schutz der persönlichen Integrität fordert er in Bezug auf Frauen und Mädchen (Ziffer 36), ältere Menschen in Pflege (Ziffer 34), sowie intersexuelle Kinder (Ziffer 38 d)).
  • Aber insgesamt legt er einen Schwerpunkt auf die Rechte von Menschen mit psychosozialer Behinderung und die strukturellen Voraussetzungen für Inklusion. Dass Deutschland nach Ansicht des Ausschusses Schwierigkeiten hat, die Rechte von Menschen mit psychosozialer Behinderung zu achten, davon zeugen gleich mehrere Empfehlungen. So empfiehlt der Ausschuss, die Verwendung körperlicher und chemischer Freiheitseinschränkungen in Einrichtungen zu verbieten (Ziffer 34 b)).
  • Und weiter: psychiatrische Behandlungen und Dienstleistungen haben auf der Grundlage der freien und informierten Einwilligung zu erfolgen (Ziffer 38 b), flankiert durch Ziffer 48).
    Quelle: https://www.bagues.de/spur-download/bag/11_2015an1.pdf

Seid ihr auch so gespannt, wie es weiter geht?  

Konsequenzen: Ist die UN-Behindertenrechtskonvention rechtlich bindend?

Neben der Behindertenrechtskonvention wurde das Fakultativprotokoll von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Deutschland hat auch dieses unterschrieben. Das Protokoll ermöglicht Menschen mit Behinderung zwei Verfahren, das Individualbeschwerdeverfahren und das Untersuchungsverfahren. Im Rahmen der Individualbeschwerde kann eine Einzelpersonen oder auch Personengruppen eine Verletzung der Konvention durch einen Vertragsstaat mitzuteilen. Der Staat hat dann sechs Monate Zeit, Stellung zu nehmen und zu berichten, ob er Maßnahmen zur Linderung getroffen hat. Gibt es den Verdacht von schwewiegenden oder auch systematischen Verstößen gegen die Behindertenrechtskonvention kann der Ausschuss im Rahmen des Untersuchungsverfahrens tätig werden und den jeweiligen Vertragsstaaten zu einer Stellungnahmen auffordern. Sanktionen sind allerdings nicht vorgesehen. Uff. Na toll. Ein materieller oder rechtlicher Anspruch lässt sich für die Betroffenen nicht ableiten.
Ich bin begeistert und fasse kurz zusammen: Die Bundesrepublik hat vor mehr als 15 Jahren entschieden, die Behindertenrechtskonvention umzusetzen, macht es jetzt aber nur in sehr unzureichender Weise, behält sein ableistisches Mehr-Klassen-System bei, erhält dafür regelmäßig Rügen von Betroffenen, Verbänden etc. und alle paar Jahre ein paar Bemerkungen des UN-Fachausschusses, die dann wieder nicht oder nur quälend langsam umgesetzt werden. Betroffene haben die Möglichkeit sich individuell zu beschweren oder der Ausschuss kann da. Konsequenzen gibt es dann aber nicht. Wow, warum sind unsere Steuergesetze nicht so formuliert? Ach ja, weil es da WIRKLICH um etwas geht, um Geld, nicht um Menschen. Ich bin ja auch so naiv.

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