„Babys erhalten keinen Pflegegrad, Säuglinge sind doch ohnehin alle hilflos.“ Das stimmt nicht. Ein Baby mit Behinderung kann sehr wohl einen Mehraufwand in der Pflege mit sich bringen. Wenn ein Baby mit Down Syndrom zum Beispiel einen Herzfehler hat, ist es eventuell zu schlapp, um an der Brust zu trinken. Es wird rund um die Uhr per Sonde gefüttert, das Zubehör dafür muss gereinigt und sterilisiert werden. Milch wird abgepumpt. Herzmedikamente gegeben. Das Kind neigt aufgrund der Erkrankung zum Schwitzen und muss häufiger umgezogen werden. Das Füttern über die Sonde muss langsam geschehen, weil das Kind sonst häufiger erbricht. Auch Säuglinge ohne Herzfehler können eine Still- oder Fütterstörung haben, aufgrund der Muskelhypotonie und der Entwicklungsverzögerung. Regel-Säuglinge gehen allenfalls zu den U-Untersuchungen, für ein Baby mit Down Syndrom werden Facharzttermine ausgemacht, Physio- und Logotherapie können schon im Alter von wenigen Wochen beginnen. Ihr merkt, das Thema Pflegegrad für Babys mit Down Syndrom ist wenig romantisch. Aber realistisch. Als Eltern eueres Kindes mit Behinderung habt ihr oft einen Mehraufwand, der euch nicht mal bewusst ist. Wenn ihr als Unterstützung einen Pflegegrad beantragen möchtet, müsst ihr euch diesen erhöhten Aufwand bewusst machen. Manche Eltern lassen sich mit der Beantragung Zeit, ihre Kinder sind fit und sie benötigen das Pflegegeld nicht. Das ist okay. Ihr könnt einen Pflegegrad dann beantragen, wenn in eurer Wahrnehmung ein besonderer Pflegebedarf aufgetreten ist.
Lillemor war drei Wochen alt, als ich erstmalig einen Pflegegrad für sie beantragt habe. Sie war fast zwei Monate alt, als die Dame vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen bei uns zu Hause in einer persönlichen Begutachtung den Pflegegrad feststellte. Lillemor hatte einen Herzfehler, konnte nicht selbstständig trinken und wir sind deshalb früh in die Logopädie gestartet. Je älter die Kinder werden, desto mehr Unterschiede zu Regelkindern können sich zeigen. Lillemor stieg keine Treppen, wir mussten sie tragen, sie zeigt selbstgefährdendes Verhalten (auf die Straße laufen, auf Möbel klettern, alles in den Mund stecken und verschlucken), sie kann sich nicht allein an- und ausziehen, waschen, sie versteht nicht alle Anweisungen und Aufforderungen usw. All dies erhöht heute ihren Pflege- und Betreuungsaufwand.
Wie beantrage ich einen Pflegegrad für mein Baby
Kinder erhalten Leistungen aus der Pflegekasse, wenn ihre Eltern in den letzten zehn Jahren vor dem Leistungsfall für zwei Jahre in die soziale Pflegeversicherung eingezahlt haben. Ein einfacher Anruf bei der Krankenkasse genügt. Hier bittet ihr um eine Begutachtung eures Kindes im Hinblick auf die Erteilung eines Pflegegrades. Notiert euch das Datum des Anrufs. Ab diesem Tag wird das Pflegegeld rückwirkend gezahlt, falls euer Kind einen Pflegegrad erhält. Alternativ könnt ihr einen formlosen Antrag stellen, zum Beispiel per Post. Bei uns hat der Anruf ausgereicht. Die Kasse muss euch innerhalb von zwei Wochen einen Termin zur Begutachtung anbieten.
Was passiert bei der Begutachtung durch den MDK?
Bei gesetzlich Versicherten meldet sich der MDK, bei privat Versicherten ist es meist Medicproof. Die Begutachtung des Kindes findet bei euch zu Hause statt. Bei Kindern und erstmaliger Begutachtung wird eher selten telefonisch begutachtet. Später kann es durchaus mal passieren, dass nach Aktenlage entschieden wird. Die begutachtende Person arbeitet nach einem festgelegten Verfahren und Fragenkatalog. In der Realität ist davon nicht immer etwas zu spüren. Wer sich ein bisschen durch Foren und Erlebnisberichte klickt, bekommt viele wilde Geschichten zu lesen. Auch die Ergebnisse sprechen für sich. Wenige Themen werden unter Eltern mit Kindern mit Down Syndrom so oft besprochen. Welchen Pflegegrad habt ihr bekommen? Warum hat mein Kind keinen Pflegegrad bekommen? Wer von den verschiedenen Fällen, kann die Entscheidung oft nicht nachvollziehen.
Wie bereite ich mich auf den Termin mit dem MDK vor?
Zur Vorbereitung empfehle ich euch den Kinderpflegegradrechner. Die kostenfreie Basic-Variante reicht dafür aus. Hier könnt ihr die einzelnen Module durchgehen, diese sind: Mobilität, Kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweise und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte. Ihr könnt jeden Punkt einzeln anklicken und findet Informationen dazu, die euch helfen die Fähigkeiten eurer Kinder einzuschätzen. Diese werden immer in Beziehung zum Alter der Kinder gesetzt. Manche Fähigkeiten müssen Kinder in einem gewissen Alter noch nicht aufweisen, sie werden nicht bewertet. Die Altersangaben stehen dabei, wenn sie relevant sind.
https://www.mein-pflegegrad-rechner.de/
Ab dem Alter von 2,5 Jahren wird zum Beispiel das „Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen“ relevant. Zitat: „Dies kann beispielsweise anhand der Frage eingeschätzt werden, ob Vorstellungen oder Wünsche zu anstehenden Festlichkeiten wie Geburtstag oder Jahresfeste bestehen, ob die Zeitabläufe eingeschätzt werden können, zum Beispiel vorgegebene Strukturen wie Wochen- oder Monatspläne (Schule) nachvollzogen werden können oder ob die körperlichen Fähigkeiten vorhanden sind, um eigene Zukunftsplanungen mit anderen Menschen kommunizieren zu können.“ Ich würde Lillemor hier als unselbstständig bewerten. Sie hat keine Vorstellung von Zeit oder Planung über den Tag hinaus, sie äußert keine Wünsche, sie freut sich weder auf ihren Geburtstag noch auf Weihnachten, sie hat keine Vorstellung davon. Wenn der Tag gekommen ist, freut sie sich über Geschenke, aber sie kann noch nicht darauf hinfiebern. Die Antwort „unselbstständig“ bedeutet einen Punkt und gewichtet bezogen auf ihr Alter 3,75 Punkte. Je mehr Punkte die Kinder in den Modulen sammeln, desto höher ist der Pflegegrad.
Wenn ihr vom bunten Kreis oder der Lebenshilfe und ähnlichen Einrichtungen betreut werdet, könnt ihr euch sowohl vorab beraten als auch beim Gespräch begleiten lassen.
Wie lange muss ich auf den Pflegegrad für mein Baby warten?
Nach maximal 25 Arbeitstagen ab Antragseingang (es gelten Werktage, Feiertage ausgenommen) muss die Pflegekasse euch mitteilen, ob euer Kind einen Pflegegrad erhält und wenn ja, welchen. Wir haben am Ende des Gesprächs bereits die erreichte Punktzahl erfahren und somit gewusst, dass Lillemor den Pflegegrad 4 bekam. Kinder unter 18 Monaten erhalten automatisch einen Pflegegrad mehr. Reicht die Punktzahl für Grad 3, erhalten die Kinder dennoch Grad 4. Dieser wird mit Erreichen des 18. Lebensmonats wieder runtergestuft. Ihr habt aber die Möglichkeit einen Wiederbegutachtungstermin zu beantragen, wenn ihr der Meinung seid, dass der höhere Grad weiter gerechtfertigt ist. Im Gutachten ist meist bereits ein Termin für eine Wiederbegutachtung angegeben. Bei Lillemor wurde eine Wiederholung nach zwei Jahren empfohlen. Tatsächlich hat es etwas länger gedauert.
Ich kenne Familien, die sehr viel länger auf Termine und Gutachten gewartet haben. Für jede Woche Fristüberschreitung steht den Familien eine Entschädigung von 70 Euro zu. Das gilt nicht, wenn die Pflegekasse die Verzögerung nicht zu verschulden hat. Hmpf, ihr könnt euch den Rest denken.
Welche Vorteile hat ein Pflegegrad für mein Baby?
Mit dem Pflegegrad sind verschiedene Sozialleistungen verbunden. Diese beschreibe ich in einem weiteren eigenen Blogbeitrag.
