Der Psychologe und Erziehungswissenschaftler André Frank Zimpel (2016: 11) stellt fest:
In den letzten Jahrzehnten fand eine kognitive Revolution statt, die von den meisten Menschen verschlafen wurde: Die ersten Persönlichkeiten mit einer Trisomie 21 fassten auf dem Arbeitsmarkt Fuß, und einige von ihnen haben sogar Universitätsabschlüsse.
Anders als landläufig bekannt, verfügen Menschen mit Down-Syndrom über ein breites Spektrum an Fähigkeiten und nehmen heute mehr denn je am gesellschaftlichen Leben teil. Die meisten Kinder mit Down-Syndrom lernen Kulturtechniken wie das Lesen, Schreiben und Rechnen. Einige Menschen mit Trisomie 21 haben Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Obwohl auch die Erwachsenen häufig Unterstützung benötigen, leben sie selbstständig und selbst bestimmt (vgl. Hoppen 2021: 45). Das Down-Syndrom ist dennoch eine der Chromosomenstörungen, die in den meisten Fällen zu einer Intelligenzminderung bzw. zu einer geistigen Behinderung führt. Es kommt ca. einmal pro 700 Geburten vor (vgl. Selikowitz 1990: 36). Menschen mit Down-Syndrom haben 47 statt 46 Chromosomen, das 21. Chromosom liegt dreimal vor. Daher verwenden Mediziner bevorzugt den Begriff „Trisomie 21“. Das zusätzliche Chromosom sorgt dafür, dass bestimmte Proteine in übermäßiger Menge produziert werden, welche die Entwicklung des Kindes bereits vorgeburtlich stören (vgl. Selikowitz 1990: 43 f.; Zimpel 2016: 18). Menschen mit Down-Syndrom können z.B. äußerliche körperliche Merkmale, organische Fehlbildungen und/oder einen schwachen Muskeltonus aufweisen. Viele sind kleiner als der Durchschnitt (vgl. Selikowitz 1990: 38f.).
Ist das Down Syndrom die Folge einer Tuberkulose?
Der englische Apotheker und Neurologe John Langdon Down fasste im Jahr 1866 als Erster diese charakteristischen Merkmale zusammen. Er beschrieb das Syndrom als „mongolische[n] Typ der Idiotie verursacht durch Tuberkulose der Eltern“ (Tamm 1994: 12). Down glaubte, dass sich die kaukasische Rasse aus der Rasse der Mongolen entwickelt hätte. Das Auftreten des Down-Syndroms deutete er als Rückfall in einen primitiven Rassetyp (vgl. ebd.). Mit dieser Erklärung lag Down eindeutig falsch. Erst 1959 konnte der Pädiater Jérome Lejeune durch die neu entwickelte Chromosomenanalyse, die Verdreifachung des Chromosoms 21 als Ursache nachweisen (vgl. Selikowitz 1990: 36). Das Down-Syndrom ist demzufolge keine Erkrankung, sondern eine genetische Besonderheit, die von bestimmten Nebenerkrankungen begleitet werden kann, aber nicht muss.
Heute lassen sich drei Formen der Trisomie 21 (T21) differenzieren. Je nachdem, ob das gesamte zusätzliche Chromosom vorhanden ist oder nur ein Teil dessen, wird von einer freien Trisomie 21, einer Translokationstrisomie oder der Mosaik-Trisomie gesprochen. Bei der Mosaik-Trisomie können die einzelnen Merkmale schwächer ausgeprägt sein (vgl. ebd.: 45).
Nicht alle Menschen mit Down-Syndrom weisen alle der heute ca. 220 beschriebenen Symptome auf (vgl. Stockhausen 2002: 1146). Bei vielen Kindern lassen sich sogar nicht mehr als sechs oder sieben äußerliche wie organische Anzeichen feststellen, dazu können auch medizinisch unbedeutende Merkmale, wie eine schräge Lidachse, gehören (vgl. Selikowitz 1990: 38). Die Lebenserwartung von Menschen mit T21 hat sich, z.B. durch neue Operationstechniken zur Korrektur von Herzfehlern, erheblich verbessert. Während die Lebenserwartung im Jahr 1929 noch bei 29 Jahren lag, lag sie im Jahr 2004 bei durchschnittlich 60 Jahren. Es wird vereinzelt von Menschen mit T21 berichtet, die deutlich älter, bis zu 89 Jahre alt, geworden sind (vgl. Voss et.al. 2017: 89). Gerade unter Berücksichtigung „des weiten Spektrums unterschiedlicher geistiger Entwicklungsmöglichkeiten“ sei die Gleichstellung des Syndroms mit Formen der Idiotie, wie Down sie noch eingeordnet hatte, heute „völlig unhaltbar“ und „abzulehnen“, so Tamm (1994: 12). Menschen mit Down Syndrom sind ebenso individuell und unterschiedlich begabt, wie Menschen mit 46 Chromosomen. Die Unterschiede zwischen den Betroffenen sind teils erheblich (vgl. Wendeler 1996: 189). Individuelle Förderung, mit der für die jeweilige Person passenden Methode, ein stabiles soziales Umfeld und ein weitestgehend vorurteilsfreier Umgang, gelten als wichtigste Voraussetzungen für eine gute Entwicklung von Kindern mit DS. In einer Studie mit 1.294 Menschen mit Down-Syndrom konnte der Psychologe und Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. André Frank Zimpel (2016: 14) nachweisen, dass diese stärker als neurotypische Personen von abstrakter Bildung profitieren. So sei zu erklären, warum Menschen mit Down-Syndrom aus Japan, Spanien, Italien, Israel und den USA in jüngerer Vergangenheit Universitätsabschlüsse erwarben und promovierten (ebd.: 78 f.). Entscheidend für Kinder mit Down Syndrom ist, mit welcher Haltung ihnen begegnet wird und was ihnen zugetraut wird. Die Tabelle zeigt die starke Veränderung der Lebenssituation von Menschen mit Trisomie 21.
Abbildung 1: Situation der Menschen mit Down-Syndrom. (Stockhausen 2002: 1150)
In Deutschland leben heute geschätzt 50.000 Menschen mit Down Syndrom (vgl. Statistisches Bundesamt zitiert nach de.statista.com 2018: 1). Eine detaillierte Aufzeichnung der Geburten von Kindern mit DS existiert nicht. In Deutschland wird kein zentrales verpflichtendes Melderegister für die Erfassung von angeborenen Fehlbildungen geführt (vgl. Groll 2019). In der Folge fehlen auch Statistiken dazu, wie viele Menschen mit Trisomie 21 selbstständig und wie viele von ihnen mit Assistenzbedarf leben. Einzig das Bundesland Sachsen-Anhalt führt mit dem „Fehlbildungsmonitor“ eine Aufzeichnung der angeborenen Fehlbildungen aufgeschlüsselt nach Diagnosen. Demnach kam im Jahr 2019 in Sachsen-Anhalt pro 619 Geburten ein Kind mit Down Syndrom zur Welt (vgl. Götz 2019: 59).
Literatur
Götz, D., et.al. (2019). Jahresbericht des Bundesland Sachsen-Anhalt zur Häufigkeit von congenitalen Fehlbildungen und Anomalien sowie genetisch bedingten Erkrankungen 2019. http://www.angeborene-fehlbildungen.com/monz_mm/Bericht_2019.pdf
Groll, T. (2019, 16. 09.). Politikerinnen und Ärzte fordern bundesweites Melderegister. ZEIT online.
Hoppen, T. (2021). Down-Syndrom. Bestandsaufnahme gut 150 Jahre nach der Erstbeschreibung. Pädiatrie, 2021, 33 (1), 40-45
Selikowitz, M. (1990). Down Syndrom. Krankheitsbild – Ursache – Behandlung. Spektrum Akademischer Verlag.
Tamm, C. (1994). Diagnose Down-Syndrom. Ernst Reinhardt Verlag.
Von Voss, H.; Boerste, A.; Toschke, A.M., (2017). Postnatale Kommunikation mit Eltern von Kindern mit Down-Syndrom und psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Krankheiten in Deutschland. In E. Schwinger, J. W. Dudenhausen. (Hrsg.), Menschen mit Down-Syndrom. Genetik, Klinik, therapeutische Hilfen ( S. 89). Urban & Vogel.
Zimpel, A.F., (2016). Trisomie 21. Was wir von Menschen mit Down-Syndrom lernen können. Vandenhoeck & Ruprecht.
Wendeler, J. (1996). Psychologie des Down Syndroms. Verlag Hans Huber.

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