Brief anlässlich der Abtreibung eines Kindes mit Down Syndrom

Liebe kleine Seele,

vielleicht bist du noch neu im Kreislauf des Lebens. Vielleicht bist du aber auch eine alte Seele, die einmal mehr ihre Kreise zieht. Wir wissen es nicht. Aber wir glauben dennoch, dass wir dich durchschaut hätten.

Denn wir haben deinen Körper untersucht und durchleuchtet. Den Körper, der im Bauch deiner Mutter heranwächst. Er ist schon vollständig. Zum Leben bereit. Du musst nur noch wachsen. Du hast deinen zukünftigen Eltern ein Geschenk mitgebracht. Es ist klitzeklein. Kaum sichtbar. Vor vielen Jahren wärst du damit unerkannt durchgekommen. Hättest dich in diese Welt und so viele Herzen schleichen können. Aber heute hat die Medizin dich enttarnt. Du hast ein Chromosom mehr. Trisomie 21 oder Down Syndrom, so wird dein Geschenk genannt.

Leider haben viele Eltern Angst vor diesem Geschenk. Angst vor dir vielleicht nicht, denn du bist ihr Kind. Aber sie haben Angst vor dem Leben mit dir, denn sie haben gehört, dass das in unserer Gesellschaft schwierig werden könnte.

Der Baufehler in deinem Herzen, der ist nicht schlimm. Die moderne Medizin, die dich das Leben kosten könnte, kann dir helfen. Wenn deine Eltern nur ein bisschen mutig sind.

Liebe kleine Seele: Hab keine Angst. Obwohl ich dich noch nie gesehen habe, du nicht unter meinem Herzen gewachsen bist: Ich liebe dich. Ich weiß, um den besonderen Zauber, den du in die Welt bringen wolltest. Und falls die Angst deiner Eltern zu groß ist, sie sich gegen ein Leben mit dir entscheiden, schlucke ich schwer, weine um dich, halte den Gedanken kaum aus und will dir sagen: Komm zurück. Du wirst Menschen finden, die dich lieben. Du wirst wieder Herzen bewegen. So wie du es jetzt schon getan hast.

Diesen Text habe ich im Dezember 2020 geschrieben. Der Anlass war die Abtreibung eines ungeborenen Kindes mit Down Syndrom. Die Mutter hatte auf Instagram vom positiven Bluttest berichtet. Sie hatte ihre Follower an ihrer Entscheidung teilhaben lassen. Für mich und viele andere Eltern aus der Community war das eine schwere Zeit. Wir hatten der Mutter Hilfe angeboten, aber keine Antwort bekommen. Wir alle zitterten um dieses kleine Leben. Ich habe fürchterlich geweint, als die Mutter öffentlich machte, dass das Kind abgetrieben worden ist. Es hätte voraussichtlich einen Herzfehler gehabt. Ich saß da, mit Lillemor deren Herz im selben Jahr so wunderbar operiert worden war. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. Es war das erste Mal, dass ich so eine Entscheidung derart miterleben musste. Dann begann die Mutter über das Down Syndrom aufzuklären. Sie teilte medizinische Fakten, nüchterne Beschreibungen von Äußerlichkeiten und möglichen Fehlern. Ich konnte sehen, was sie gesehen hat. Fehler, Krankheiten, Schwierigkeiten. Wir Mütter waren mit der Darstellung nicht einverstanden, sie war zu negativ, zu einseitig. Tatsächlich entfernte die Mutter daraufhin die Beschreibungen. Wie es ist, mit einem Kind mit Down Syndrom zu leben, das wissen nur wir, die dieses Leben tatsächlich leben. Sie hätte es erfahren können, doch die Angst und offenbar auch ein Einfluss von außen waren zu stark. Ich denke ab und zu an diese kleine Seele. Frage mich, ob sie nun in unserer Welt in neuer Gestalt angekommen ist. Ich wünsche es ihr sehr.

2 Gedanken zu “Brief anlässlich der Abtreibung eines Kindes mit Down Syndrom

  1. Ja, stimmt,
    das können immer nur die nachvollziehen die es auch betrifft.
    Aber ich glaube es ist jedem selbst überlassen wie und ob Er ein behindertes Kind egal welcher Art bekommt.
    Wenn man es vorher weiß und nicht will ist Abtreibung die bessere Alternative als ein Kind was nicht geliebt wird auch noch der Gesellschaft die ja bei jeglicher Behinderung doch sehr merkwürdig reagiert aufzudrücken.
    Und wenn man es sich selber nicht zutraut wird’s auch nicht schwieriger egal wie und was für eine Behinderung.
    Es gibt vieles was Familie und Medizin heute wuppt,
    aber ich glaube um Kinder,
    egal wie Sie sind,
    groß und erwachsen zu bekommen gehört ganz viel Selbstwertgefühl und ganz viel Wille und Liebe.
    Ich finde es sehr mutig von der Mutter das so öffentlich zu machen.
    Ich denke das tut auch nicht jede Frau.

    Gruß Ann-Kris

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    1. Hallo liebe Ann-Kris, zum Glück betrifft es mich ja. Leider ist es Frauen heute kaum möglich eine freie Entscheidung zu treffen. Dass lebensfähige, gesunde Kinder mit Down Syndrom abgetrieben werden können, ist für mich nur schwer nachzuvollziehen. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, dass Familien, das Gefühl bekommen, dass sie es schaffen können, für ihr Kind mit Behinderung da zu sein. Das kann wirklich jeder. Wenn bewusst ist, welche Hilfen da sind und die Hürden im Außen abgebaut werden. Ich helfe jeder Frau so gut ich kann. Die positiven Eigenschaften, die du beschreibst, müssen alle Eltern haben. Denn Kinder sind immer eine Herausforderung. Alles Liebe

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